Am Anfang ein Geständnis: Ich habe weder das Kinderbuch von Lyman Frank Baum gelesen noch Victor Flemings Filmklassiker „The Wizard Of Oz“ (1939) gesehen. Die Geschichte ist mir nur in Grundzügen bekannt. Aber auch nahezu völlig ahnungslos ist Sam Raimis „Oz: The Great And Powerful“ ein faszinierendes, schelmisches und auf gewisse Weise herrlich altmodisches Stück Kino.
Der Zirkuszauberer Oscar Diggs (James Franco) wird durch einen Sturm plötzlich aus dem verschlafenen Kansas ins Zauberland Oz geschleudert. Die Bewohner glauben in ihm den großen Zauberer von Oz gefunden zu haben. Anfangs hat Oscar nichts dagegen, schließlich winkt nicht nur der Thron, sondern auch unvorstellbarer Reichtum und ein Techtelmechtel mit den hübschen Hexenschwestern Theodora (Mila Kunis) und Evanora (Rachel Weisz). Doch dann erfährt er, dass Ruhm und Reichtum seinen Preis haben: Er, der „Zauberer von Oz“, ist nämlich dazu auserkoren, Theodoras und Evanoras böse Schwester, die mächtige Hexe Glinda (Michelle Williams) zu besiegen.
Bei den Notizen zu „X-Men: First Class“ hatte ich geschrieben, dass mir nicht viele gute Prequels einfallen. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob man das, was Raimi hier macht, als klassisches Prequel bezeichnen kann – jedenfalls wird die Vorgeschichte des Zaubers von Oz thematisiert und erzählt, wie er überhaupt nach Oz gekommen ist. Ich will aber meinen, dass ihm wiedermal ein faszinierendes Werk gelungen ist, dem die Lust am Filmemachen, ja sogar pure kinematische Energie aus jeder Pore dringt. Wobei ich vermute, dass nicht jeder von dem Film unbedingt begeistert sein wird. Denn nach dem großartigen Schwarz-Weiß-Intro auf dem Jahrmarkt kann man sich bei den ersten farbigen Oz-Szenen durchaus an die klebrigen Fantasielandschaften von Peter Jacksons „The Lovely Bones“ oder der CGI von Tim Burtons missratenem „Alice In Wonderland“ erinnert fühlen. Doch wie alles an dem Film sind auch die naiven Bilder ein Trick.
Über Raimis Fähigkeiten als Regisseur sowie dessen Stil (Kamerafahrten, Montagen, etc.) muss man an dieser Stelle wahrscheinlich nicht viele Worte verlieren. Aber ich denke, im Falle von „Oz: The Great And Powerful“ sollte man sich vorab noch einmal bewusst machen, dass man den Film eines echten Könners sieht. Eine der Grundregeln für Kritik besagt, dass man das Objekt seiner Kritik erst einmal „so stark wie möglich machen“ sollte. Die vermeintlichen Schwächen eines Films zerplatzen bei gründlicher und fairer Auseinandersetzung mit ihm manchmal auch wie eine Seifenblase. Das gilt natürlich nicht nur für den Film, sondern für jede andere Form von Kulturgut. Im Falle von Raimis „Oz“ lohnt es sich, diese positive Grundeinstellung zu promoten. Es könnten einem – vermute ich – sonst die viele Finessen entgehen.
Der Schlüssel, der einem die Tür zum Raimis Stück aufsperrt, ist die Einsicht, dass Oz ein Film über die künstlerische Tätigkeit oder auch übers Filmemachen ist. Filme, die sich selbst zum Thema haben, gibt es einige. Beachtenswert an „Oz: The Great And Powerful“ ist meines Erachtens aber, dass er die Mechanismen hinter der Illusion offenlegt. Insofern ist er weniger ein Loblied auf das ätherische Reich der Fantasie, sondern eine Ode an die Schaffenskraft – und das ist vor allem erst einmal Arbeit. Die eigentliche Pointe an Raimis ist allerdings noch eine andere: „Oz: The Great And Powerful“ ist ein Meisterstück über das Thema Täuschung. Subversiv, wie der Film ist, betrügen sich nämlich nicht nur alle Figuren gegenseitig – Raimi führt auch den Walt-Disney-Konzern mit diesem trojanischen Pferd an der Nase herum – und gewiss einen Teil des Publikums ebenfalls. Dieses Kunststück sollte sich niemand, der Filme liebt, entgehen lassen.
„Trojanisches Pferd bei Disney“ hört sich unerwartet vielversprechend an!
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