Vermutlich sind meine Zeiten als jemand, der über Filme schreibt, spätestens seit 2018 vorbei. Nicht nur, weil ich in letzter Zeit kaum noch Filme gucke, was kein reines Zeitproblem ist, sondern wohl vor allem daran liegt, dass ich beim Filme schauen nicht mehr diesen vielschichtigen Genuss empfinde, der früher jeden Film zu etwas Besonderem hat. Dadurch verschieben sich die Prioritäten und ich mache stattdessen eben etwas anderes. Ein weiterer Grund ist der, dass ich meine Meinung zu Filmen gar nicht mehr so gerne äußere: Meinungen gibt es viele da draußen, aber selbst die am besten begründeten helfen mir selten weiter, einen Film aus einer anderen Perspektive zu sehen und noch mehr zu schätzen. Und ich gehe davon aus, dass er sich auch andersrum so verhält.
Nichts desto trotz kommt hier – man kann den Text vielleicht als Ausrutscher bezeichnen – nach langer Zeit mal wieder eine Meinung zu einem Film, denn ich sitze gerade allein krank zu Hause und hatte endlich mal Gelegenheit in der richtigen Verfassung (fiebrig, leicht verpeilt) einen sehr geschätzten Film von einem mir sehr geschätzten Künstler in einer mir unbekannten Version zu sehen: Die Rede ist von „Nightbreed“, bei dem es sich um Clive Barkers nach „Hellraiser“ zweite Regiearbeit handelt. Der Film basiert auf seinem Buch „Cabal“ (1988) und handelt von der mystischen Stadt Midian. Protagonist Aaron Boone (Craig Sheffer), der von Visionen über Midian heimgesucht und von seinem Psychiatrier Philip K. Decker (David Cronenberg) dahingehend manipuliert wird, dass er glaubt ein Mörder zu sein, bricht alle Brücke hinter sich ab und macht sich auf den Weg zu diesem sagenumwogenden Ort. Dort findet er unter einem Friedhof tatsächlich die Monster aus seinen Träumen. Die wollen ihn aber nicht bei sich haben. Knapp und nicht ohne Bisswunde entkommt Boone vom Friedhof, nur um kurze Zeit später ein einer von Decker für ihn aufgestellten Falle in einem Kugelhagel zu enden…Natürlich endet die Geschichte hier nicht, sondern fängt erst richtig an. Boone, durch den Monsterbiss selbst Monster geworden, kehrt zurück nach Midian, ohne zu ahnen, dass er damit das Ende dieses Refugiums einläutet.
Bevor ich auf den Film eingehe, vielleicht noch ein paar allgemeine Worte zu mir und Clive Barker. Ich habe, verglichen mit meine Lese-Ratten-Freunden, erst relativ spät, irgendwann in meinen frühen Teenie-Jahren, angefangen mich für Bücher zu interessieren. Dann ging es aber recht schnell und ich landete bei allem, was mit dem zu tun hatte, das nicht von dieser Welt war. Sehr gut gefielen mir die Bücher und Kurzgeschichten von Clive Barker, die mir z.B. verglichen mit den Werken von Stephen King immer ein bisschen fantasievoller vorkamen. Nicht nur fantasievoller, auch tiefgründiger, reichhaltiger und weniger „schwarz-weiß“. King ist ein toller Erzähler, aber er walzt halt jede Idee auf tausend Seiten aus, während es bei Barker auf jeder Seite nur so wimmelt von Fantastischem, dass es wahrlich eine Wonne ist, darin einzutauchen. In anderen Worten: Stephen Kings Bücher: Medizinball. Clive Barkers Bücher: Riesiges Bällebad. Ich habe mich schon damals in Barkers Bällebäder verliebt. Sicherlich, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt, wusste schon Shakespeare und ist jetzt nichts Barker-Spezifisches; allerdings kenne ich keinen Autoren, der vergleichbar zuverlässig fantasievoll sich diese Dinge zwischen Himmel und Erde ausmalt und dabei pro Roman ganze Mythologien entwirft. Jedenfalls, auch zig Jahre später bin ich immer noch fasziniert von den Welten die Barker erdacht hat, was ganz ausdrücklich auch für die filmischen Umsetzungen seiner Stoffe gilt. „Hellraiser“, „Lord Of Illusions“ und eben auch „Nightbreed“ sind Filme, ich auch heute noch sehr schätze. Was mich zum „Cabal Cut“ des letztgenannten und einer kurzen Verschriftlichung meiner Meinung über ihn führt.
Mal schnell abgeharkt: „Nightbreed“ ist spannend, bietet mehrere überraschende Wendungen und sieht nicht zuletzt wahnsinnig gut aus. Die Masken sind allesamt ein (Alb-)Traum. Sowas wird heute gar nicht mehr gemacht. Die Schauspieler agieren allesamt nicht oskarverdächtig, aber mir reicht es, um in der Geschichte zu bleiben. Was mich an dem Film neben dem Offensichtlichem anspricht, ist aber vor allem seine Ambivalenz in Bezug auf die behandelten Themen. Ganz allgemein geht es um Anziehung und Abstoßung oder – etwas konkreter – um den Wunsch, dazu zu gehören und die Ausgrenzung des Anderen – womit der Film dieser Tage wieder hochgradig aktuell ist. Wer hier ein Monster ist und wer nicht, darauf werden verschiedene Sichtweisen angeboten. Natürlich sind die Monster unter dem Friedhof zunächst ganz offensichtlich die ausgegrenzten Anderen, weil sie anders aussehen und nach anderen Regeln leben (auch gelegentlich Menschenfleisch wird nicht verschmäht). Boone gehört zunächst nicht zu dieser Gruppe, wird aber schließlich aufgenommen. Schon hier zeigen sich die Monster als barmherziger als die Menschen aus der Außenwelt, von denen sich einige im Verlauf der Geschichte als die wahren Monster erweisen, wie der Psychopath Decker, der nur die Befriedigung der eigenen Lust kennt oder – noch gruseliger – die Bewohner, der nahegelegenen Ortschaft, die zum Schluss Jagd auf die Wesen unter dem Friedhof machen und deren brutales Vorgehen vor dem Hintergrund aktueller fremdenfeindlicher Taten besonders mitnimmt. Es ist interessant, wie sich in den Film die Sympathien verschieben. Ich glaube nicht, dass hier die allgemeine Aussagen gemacht werden soll, das Monster die besseren Menschen sind. Aber es kommt schon rüber, dass zumindest Menschen nicht deswegen besser sind, weil sie Menschen sind, sondern dass es darauf ankommt, was man tut und wie man sich zu anderen verhält. Hier hat „Nightbreed“ einen wunderbar bunten Strauß an Figuren zu bieten, die alle samt spezifische Interessen haben und nachvollziehbare Gründe aus denen sie unterschiedliche Entscheidungen treffen.
Was mich an „Nightbreed“ aber vor allem fasziniert, ist ein Gefühl, das in seinen Bildern irgendwie – und hier kommt echte Filmmagie ins Spiel! – lebendig wird. Es ist das Gefühl, nicht dazuzugehören und die Sehnsucht nach einem Ort wo Mann/Frau/divers/usw. – trotz allem! – willkommen ist; und ich vermute, dass es dies ist, was so viele junge Menschen, die ihren Platz in der Welt erst noch finden müssen, aber auch Erwachsene auf der Suche, für die Schwingungen des Films empfänglich macht. Der Wunsch nach einem Refugium für alle die anders sind, ist stark in diesem Film. Und sind wir nicht alle zumindest so viel Monster, dass wir diese Sehnsucht nachvollziehen können? Am greifbarsten wird dieses Gefühl in den Szenen, in denen Boone oder seine Freundin Lori (Anne Bobby) durch die unterirdischen Gänge Midians streifen und dabei so allerhand von besagten Dingen zwischen Himmel und Erde sehen, das gehört zum visuell Aufregendsten, Verstörendsten aber irgendwie auch Schönstem an „Nightbreed“. Dabei ist es nicht mal die Vielfalt an unterschiedlichstem Leben allein, die beim Sehen dieser Szenen fasziniert, es ist die Haltung von Boone und vor allem Lori, die ich hier so gelungen finde: vorsichtig und manchmal erschrocken, aber trotzdem neugierig und immer offen, lassen sie sich auf die Welt, die sie als Gäste betreten vorurteilsfrei ein. Wenn alle das Fremde und Unbekannte so annehmen würden, wie Lori die Bewohner Midians, wäre unsere Welt bestimmt eine bessere.
Wenn ich mir an dem Film etwas anders wünschen dürfte, wäre es, dass Barker noch ein wenig mehr den Fokus auf die Beweggründe der Figuren gelegt hätte. Kenner*innen des Buchs wissen, warum sie sich dieser und derart verhalten, dort ist es höchst plausibel, ja zwingend. In dem Film, der dem Visuellem ein größeres Gewicht beimisst, sind die Motive oft nicht ganz so klar, was schade ist, weil sie meiner Meinung nach wichtig sind, um die ganze Schönheit der Geschichte zu sehen. Wobei das nicht heißen soll, „Nightbreed“ hätte eine Quintessenz, die es zu erkennen gälte und dies sei Voraussetzung, um den Film zu mögen. Er viele Ebenen und interessante Motive. Die Charaktere und was sie antreibt, sind ein nur interessantes Element an dem Film unter mehreren. Letzten Endes freue ich mich, dass die Geschicht’ keine Moral hat, sondern ambivalent bleibt, das ist ihre wie auch die Stärke aller anderen Barker-Werke.
Der „Cabal Cut“ indes lohnt sich aufgrund des reichhaltigen Zusatzmaterials (teilweise in sehr schlechter Bild Qualität), dennoch glaube ich, dass ich – ungesehen – den Director’s Cut bevorzuge, der entgegen der Kinofassung mehr Midian & Bewohner enthält und weil das Ende des „Cabal Cuts“ das der Kinoversion ist. In dieser wird Decker mit Blick auf mögliche Fortsetzungen wieder zum Leben erweckt, was mir schon damals überflüssig bis sinnlos vorkam und sich für damals wie heute wie ein Fremdkörper in diesem Film angefüllt hat. Doch auch wenn Barkers Vision mit diesem Ende meiner Meinung nach nicht gedient ist, nehme ich mir ein Beispiel an mir selbst und dem, was ich ein paar Sätze zuvor als großen Vorzug des Films anpreise und versuche auch diesen Fremdkörper mit positiver Grundhaltung zu akzeptieren.
Ein Kommentar zu “Nightbreed (Clive Barker, USA 1990)”